Disputorium

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Das heutige durchkommerzialisierte Hobby-Internet kotzt mich an

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Vorab: Das folgende wird sehr lang, und konkrete Handlungsempfehlungen habe ich auch nicht zur Hand. Es sind einfach ein paar wirre Gedanken und Beobachtungen, die mir schon länger durch den Kopf gehen und die ich schon länger mal ausformulieren wollte, um meine Frustration über Entwicklungen im Hobby-Internet auszudrücken.

Ich bin schon lange dabei und kann mich noch an die Hobbyseiten um 2000 erinnern. Eine Menge persönlicher Homepages und Blogs wo Hobbyisten aus schierer Freude daran Content zu erschaffen und zu teilen Content geschaffen und verteilt haben, ohne Hintergedanken an Werbepartnerfreundlichkeit und Monetarisierbarkeit. Midgard-Digest, Blackjacks Shadowrun Page, Archetypes.de.vu, MU.ranter.net, die TTT-Rollenspielseiten, die DSA-Schatztruhe, das schwarze Ohr und viele andere, die inzwischen größtenteils ins digitale Nirvana eingegangen sind und nur noch in der Waybackmaschine zu finden sind (und das auch nur, wenn man die alte URL noch irgendwo her hat).

Ebenfalls um 2000 herum begann The Forge zu sprießen. Wenn auch hauptsächlich wegen der dortigen Rollenspieltheorien wahrgenommen und rezipiert, stand am Anfang etwas ganz anderes im Mittelpunkt: Die Schaffung freier Rollenspiele, komplett in der Hand ihres Autors statt in der eines Verlags, mit gutem Design anstatt optischer Blendung, abgeschlossen dargereicht in so vielen Bänden wie nötig anstatt einer endlosen Tretmühle von Ergänzungsbänden. Wer es noch nie getan hat, sollte das kurze Essay The Nuked Apple Cart von Ron Edwards lesen - vieles davon was er darin anschneidet ist relevant für meinen Rant.
Manche wie Clinton R. Nixon mit seinem TSOY/Solar System (oder in der OSR-Sphäre Basic Fantasy) gingen noch weiter und setzten ihre Spiele als Open Source unter Creative Commons und ähnlichen Lizenzen auf, die es anderen erlaubten kostenlos auf die Spiele zuzugreifen, sie in veränderter Form wiederzupublizieren und zu erweitern - Rollenspiel nicht als kommerzielles Produkt mit dem Ziel Geld zu verdienen, sondern als kulturelles Produkt das dazu da war von jedermann geteilt zu werden.
(In Deutschland hatten wir auch einen Abglanz davon mit der KUR, FERA und einer Unzahl nirgendwo angeschlossener freier Rollenspiele, und auch ein paar CC-Projekte wie das Weltenbuch.)

Ein paar Jahre lang konnte man hoffen, dass das die Zukunft des Hobby-Internets werden würde, Rollenspiel als frei verfügbare Kultur. Aber mit der Veränderung und Durchmonetarisierung des Internets ab den 2010ern begann auch die Veränderung des Hobby-Internets.
Das Internet der 1000 freien Geocities wurde zunehmend in einige wenige umzäunte Social-Media-Gärten gepfercht, wo man sich aufhalten muss wenn man wahrgenommen werden will - und wo man das Produkt ist, das zur Gewinnerzielung der Betreiber gemolken wird.

Blogs und persönliche Homepages, wo gutes Material umsonst verbreitet wird, findet man nur noch sporadisch und oft nur historisch. Vieles was früher ein kostenloser Blogartikel gewesen wäre ist heute ein Kauf-PDF, und vieles was früher einfach ein Kauf-PDF gewesen wäre ist ein Kickstarter.
Crowdfunding hat einen gegenteiligen Trend geschaffen zum genuketen Apfelkarren: Wer wahrgenommen werden will, muss vor allem optisch ansprechen durch hochwertige Illustrationen und Videos, und wer teilnehmen will muss löhnen. Crowdfunding belohnt hohle Gestelle, die vor allem gut aussehen, sich gut klicken und leicht verdaulich teilen lassen, aber bitte nicht mit zu viel Text.

Apropos zu viel Text: Viel Diskurs, der früher in Textform über Blogs, Foren und noch früher Newsgroups geführt wurde, hat sich ins Videoformat verschoben. Platzhirsch Youtube mit seinen Algos erzwingt da regelmäßiges Hochladen von Zehnminütern, wenn man Sichtbarkeit will. Wenn der Inhalt in effizienter Textform nur Material für zwei oder drei Minuten hergeben würde muss halt gestreckt werden. Und wenn man eigentlich nichts zu sagen hat, muss man halt alten Wein in einem neuen Schlauch darbieten nur um die Hochladefrequenz aufrecht zu erhalten. Mit der Monetarisierung und den Werbeeinnahmen ist da auch ein kommerzielles Interesse da, bei diesem Modell mitzumachen (im viel größeren englischsprachigen Hobby-Internet natürlich noch mehr als im kleinen provinziellen deutschen Hobby-Internet).

Es gibt sie noch, die kleinen Inseln des alten Hobby-Internets, wo aus schierer Freude daran erschaffen und geteilt wird, ohne kommerzielle Hintergedanken. (Meine jüngste Entdeckung war da das brasilianische Fandom von Street Fighter: The Storytelling Game, dessen Material sukzessive ins Englische übersetzt wird, und wo wegen der ungelösten Lizenzlage aus der Offlinezeit zwischen WW und Capcom kommerzielle Ausschlachtung auch gar nicht möglich ist.)
Aber diese Inseln werden immer seltener und kleiner, während das Wasser der Kommerzialisierung und Durchmonetarisierung des ganzen Internets steigt.

Willkommen daheim, Phäake.

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Es sind die Segnungen des Enshittozäns.

 

Da hilft nur gegenhalten.

Gegen regelwerkseitige Volksverdummung.

Gegen Corpos, die (vor allem hier in D) Netzwerke dominieren.

Gegen Spielermonetarisierung.

Gegen die Abschaffung von Spielleitung.

Mit eigenem Content.

Mit eigenen Plattformen.

Mit eigener Anstrengung.

Mit eigener Qualität.

 

Die Fackel unten im Gewölbe am Brennen halten.

ALRIK! OSRIC! FHTAGN! Regeln kostenlos online abrufbar.

* Orangener Gurt im PJJ * Grüner Gürtel im Drama-Fu (Drachen-Stil) * Brauner Gürtel im Pyro-Fu * Night's Master im Ghoulu Jitsu * Gelber Gürtel im Tanelorn *
Zitat von ghoul am 30. September 2024, 9:27 Uhr

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Wenn ich Skyrock richtig verstanden habe, geht es ihm nicht nur darum.

Sondern auch um eine Atmosphäre, in der Kreativität gedeihen kann und gegenseitige Befruchtung geschieht.

Eine Möglichkeit wäre, dass man eine Sammlung erstellt (wie die PESA-Liste, nur größer) von allen Spots, die man im Internet so findet, die dagegen halten.

Zitat von Der Oger am 30. September 2024, 22:09 Uhr
Zitat von ghoul am 30. September 2024, 9:27 Uhr

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Wenn ich Skyrock richtig verstanden habe, geht es ihm nicht nur darum.

Sondern auch um eine Atmosphäre, in der Kreativität gedeihen kann und gegenseitige Befruchtung geschieht.

Wirklich was "erreichen" wollte ich eigentlich nicht. Und ich denke auch nicht, dass man den Zeitgeist zurückdrehen kann, dazu hat sich das Internet insgesamt in meiner Zeit zu sehr verändert - weg vom Internet der Nerds, die für ein Publikum von anderen Nerds schrullige und etwas windschiefe, aber ungefilterte Webseiten schreiben, hin zum Internet der Normies, die auf ihrem Schlaufon jeder Datensammelscheiße zustimmen, ausschließlich in den hell erleuchteten, glatt geleckten aber seelenlosen digitalen Shopping Malls verweilen und wo digitale Mallcops im Namen von "Communityrichtlinien" einem die Brügel nausschmeißn, wenn man irgendwas macht, was die schöne Kauflaune stört.

(Ein paar Vorgeschmäcker hatten wir früher schon, wie das mißlungene Rebranding von Blutschwertern zu Aktion Abenteuer, oder Foren wie RPG.net geführt von frei drehenden Hausmeistertyrannen - aber so wie der alte Westen mit dem Vordringen von Eisenbahn und Gouverneuren immer weiter zusammengeschrumpft ist, sind auch alte Freiräume immer mehr verschwunden, manche nur noch schwammige Sepiafotos in der Waybackmachine, andere verlassene Geisterstädte, durch die nur noch Steppenhexen rollen.)

Ich habe mir immer wieder mal überlegt, der Wandel zu sein der ich sein will und meinen ganzen eigenen Kram auf einer Neocities-Seite zu bündeln, ganz old-school ohne Javascript und mit tanzenden Baby-GIFs. Andererseits fühlt sich das wie eine digitale Version von Buffalo Bills Wildwest-Show an - ein Abgesang auf eine vergangene Ära an der sich ein paar Schaulustige kurz morbide ergötzen, ehe sie wieder weiterziehen um die nächste Episode Critical Role zu glotzen und den nächsten klickibunten Kickstarter mit hübschen Bildern und ausgelutschten Regeln und Setting zu bäcken.

andere verlassene Geisterstädte, durch die nur noch Steppenhexen rollen

Ich muss gerade an eine Unterform der Hexe/Vettel denken, die sich in Tumbleweed verwandeln kann.

Als ich angefangen habe zu bloggen (2006), ging ich davon aus, man würde sich viel gegenseitig verlinken und Bezug auf andere Blogger nehmen. Es war auch bei rsp-blogs.de meine Hoffnung, es gäbe mehr Austausch. War aber nie so.

* Orangener Gurt im PJJ * Grüner Gürtel im Drama-Fu (Drachen-Stil) * Brauner Gürtel im Pyro-Fu * Night's Master im Ghoulu Jitsu * Gelber Gürtel im Tanelorn *

Das finde ich einen tollen Essay, Skyrock. Wie hoffentlich allen klar ist, sehe ich das ganz genauso, aber Du sprichst Aspekte an, die mir in der Zusammenstelliung noch nicht so klar waren.

Ich habe neulich erst massiv mich aufgeregt, als ein Podcast (Between two Cairns) mehr und mehr auf Patrean setzte. Insgesamt ist das eine Sache, dieman baer vielleicht auch der Forge anlasten kann: zumindest die Ron-Forge ist immer auch Kleinunternehmertum gewesen und Versuch der Monetarisierung von Community und einer leicht anpolitisierten Ästhetik

Was mich besonders traurig macht, ist die Nachäfferei im deutschen Hobby. um mal bheispielhaft Roß und Reiter zu nennen:

Donnerhaus ist für mich das markanteste Beispiel für eine Tendenz der geleckten, neoliberalen Projektemacherei, wo fröhlich "Büro" gespielt wird.  Es gibt auch andere Beispiele dafür.

Wozu? fragt man sich. Kirilow würde mich jetzt wieder beleheren, die Menschen seien halt so, aber ich finde man kann ja Sachen annehmen oder nicht.

In den USA ist der Vermarktungsdruck ja viel größer aber auch sinniger: wer die Beliebtheitslotterie gewinnt, kann wirklich dann vom Hobby leben. Die Option gibt es auf Deutsch doch garnicht. Was aus meiner DIY-Sicht ganz gut ist, diese Not könnte Tugend sein. Aber nein. Da werden selbst Foren (B!, :T:) versucht zu kleinen startup-lookalike Projekten hochgejazzt um Sie an den nächsten Dachverband (vgl. das Trauerspiel...) anzuschließen und auf dem nächsten Blah-Con in irgendwelchen tollen Kreisen zu landen. Da wird vielzuviel "Büro" gespielt, ohne Not und Ergebnis. Affig bis schädlich ist das Ganze.

Was die Internetteilerei angeht, so ist es wirklich Schade. Die Argumentation hat aber auch eine Kehrseite: wo alle einen auskömmlichen Job haben (oder fühlen, jederzeit einen haben zu können), ohne Angst auch Freizeit genießen können, da kann gemeinnützig geteilt werden. Je mehr Leute in existenzieller Angst, materielle oder ideell, umhergetrieben werden, desto mehr schaut man auf Vermarktbarkeit oder zumindest peer-group Status zur Selbstaufwertung. Viele der Durchökonomisierten sind ja auch zu bemitleiden.

Der Algorithmendruch, den Du ansprichst, der macht selbst Millionärsyoutubern zu schaffen. Die haben alle irgendwann mental health-Probleme.

Ich meine du unterschätzt(?) da zumindest zwei Dinge:

Auch bei auskömmlichem Job, der Wunsch nach Mehr. ("Warum das Geld auf der Straße liegen lassen?") Das ist noch einmal etwas anders gelagert, denke ich, als das reine Nachahmertum "amerikanischer Verhältnisse", das du schon ansprichst, und ist gleichzeitig niedrigschwelliger als die Illusionen vom "Durchbruch". (Ich halte das sogar für noch sehr viel radikaler, weil es einen Traum durch das Kalkül ersetzt, die eigene Zeit und eigenen Aktivitäten prinzipiell einer Verwertungslogik zu unterwerfen. Nicht Hobby zum Beruf. Hobby zu Geld. Zusätzlich zum Beruf.)

Zum Anderen die... Kundenhaltung. Die Wirkung (die bereits entfaltete Wirkung!) nicht nur auf die Teilenden, die zu Verkäufern wurden, sondern auf diejenigen, mit denen geteilt wurde, und die sich ihrerseits nun als Kunden (Abonnenten, Follower, ...) sehen.

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