Disputorium

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"Uns geht's doch noch Gold!" oder Oldschool-Traveller-Epiphanie

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Ich habe bei meiner reaktivierten Traveller-Kampagne glaube ich einen entscheidenden Unterschied von Oldschool zu was-immer-das-Gegenteil-ist endlich gerafft.

Der Oldschool-Abenteurer ist ein Abenteurer, weil er das sein will. Weil er Geld, Ruhm, Macht jenseits der Möglichkeiten konventioneller Berufstätigkeit in dem jeweiligen Setting anstrebt.

Ich glaube, das sollte ich bestimmten Spielern in der Kampagne auch mal klar machen: Eure Charaktere werden hier nicht zum Jagen getragen. Und wenn besagte Charaktere - eure Aussage - nicht besonders nett sind, nicht gut mit anderen kooperieren und nicht besonders an dieser Abenteuersache interessiert sind, dann ist das nur und ausschließlich aus einem Grunde so: Weil sie das so wollen. Alle New-School-Erklärifizierungen dafür, dass ihr euch möglichst unabenteuerlich verhaltet; eure tragische Backstory, eure regeltechnisch nicht existente Gesinnung, was auch immer ihr in eure Attribute und eure Karriere hineinlest - das könnt ihr alles vergessen! Wenn eure Charaktere so drauf sind, können sie ihre Schiffsanteile für MCr 1-2 verkaufen und sich auf einer Mid-Tech-Welt zur Ruhe setzen. Oder sie hätten gleich bis zur Aging Crisis in ihrer Karriere bleiben können.

Ich glaube, wir haben hier ein klassisches Übersteuern vor uns. Weil es irgendwann einmal bemängelt wurde, dass Charaktere sich einfach in einer Kneipe treffen und zum Ermorden eines Drachen heuern lassen, glauben manche Spieler mittlerweile, es wäre die hohe Kunst, möglichst risikoferne Figuren darzustellen, die nur mit ausgefeilten Kunstgriffen dazu zu bewegen sind, nicht jedem Anzeichen von Abenteuer aus dem Weg zu gehen...

Das ist ja der alte Trick, wie man Shadowrun (ich glaube, 3) gewinnt: Man setzt bei der Charaktererschaffung Priorität A auf Resourcen, kauft sich dafür den dauerhaften mittleren (oder reicht das sogar für den hohen?) Lebensstil und setzt sich zur Ruhe. Fertig! Gewonnen! Aber den Charakter kann man dann eben nicht SPIELEN. Also baut man einen weiteren Charakter, setzt Priorität A auf Resourcen, kauft sich dafür den dauerhaften mittleren Lebensstil und setzt sich zur Ruhe. NOCHMAL gewonnen! Das ist ja einfach. Also baut man einen dritten Charakter, setzt Priorität A auf Resourcen...

Das oder etwas ähnliches funktioniert mWn bei jeder Shadowrun-Version.

Aber das ist ja nur reductio ad absurdum der total kaputten SC-Ökonomie dieses Spiels: Typen mit millionenschwerer Hardware und spitzenmäßiger, hochspezialisierter Ausbildung, die sich als am Hungertuch nagende Kleinkriminelle durchschlagen.

Das ist in der D&D-Fantasy aber genauso. Wenn man sich statt Schwert +5 nen Landhaus samt Ackerfläche drumrum kauft, hat man auch ausgesorgt. Genauso würde man auf höherer Stufe überall als Leibwächter oder Spezialist mit Handkuss genommen und fürstlich bezahlt, bei fast null Risiko.

Der Abenteurer ist halt dann das Äquivalent von reichen Leuten, die ne Weltumsegelung alleine mit ihrem Segelboot machen, weils sie halt sehen wollen, ob sie es schaffen. In so eine Denke kann sich der Normalbürger aber nur schwer hineinversetzten, deshalb kommt es zu einer Dissonanz.

Zitat von ErikErikson am 14. November 2020, 14:07 Uhr

Das ist in der D&D-Fantasy aber genauso. Wenn man sich statt Schwert +5 nen Landhaus samt Ackerfläche drumrum kauft, hat man auch ausgesorgt. Genauso würde man auf höherer Stufe überall als Leibwächter oder Spezialist mit Handkuss genommen und fürstlich bezahlt, bei fast null Risiko.

Der Abenteurer ist halt dann das Äquivalent von reichen Leuten, die ne Weltumsegelung alleine mit ihrem Segelboot machen, weils sie halt sehen wollen, ob sie es schaffen. In so eine Denke kann sich der Normalbürger aber nur schwer hineinversetzten, deshalb kommt es zu einer Dissonanz.

Das ist aber nur ein Problem bei "neuem" (post 1e) D&D. Einerseits weil gilt Gold=XP, andererseits weil das "Domänenspiel" von vorneherein mitgedacht wird.

"If people seem slightly stupid, they’re probably just stupid. But if they seem colossally and inexplicably stupid, you probably differ in some kind of basic assumption so fundamental that you didn’t realize you were assuming it, and should poke at the issue until you figure it out." - Scott Alexander, published under CC-BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Ich teile die Beobachtung.

Habe es schon zu oft erlebt, dass im Spiel bewusst und GEZIELT Möglichkeiten gesucht werden, sich aus dem laufenden Abenteuer (tm) herauszuziehen, teilweise ingame für Monate. Noch gestern hat sich jemand für 50 ingame Minuten aus der Gruppe herausgezogen und auch während Kampflärm sich nicht genötigt gefühlt, der Gruppe beizustehen.

Nicht selten passiert es allerdings schon vor Beginn des RPGs beim Charakterbau. Es werden dann GEZIELT Optionen verlangt, die das aktuell genutzte System gar nicht abdeckt und dementsprechend nicht Bestandteil der Abenteuer sind - so nach dem Motto "Tja SL, jetzt mach' mal, da guckste".

Auch habe ich es schon erlebt, dass trotz meinen konkret auferlegten Bedingungen als SL zum Einstieg für eine Kampagne (harmlose Dinge wie "ihr seid alle Mitglieder der Akademie X") diese IGNORIERT werden bzw. man HINTERGANGEN wird (heißt, bei Charakterbau werden die Bedingungen akzeptiert und 5 min. nach Spielstart sabotiert).

Das hat meinen Spaß an RPG insgesamt stark beeinträchtigt.

Jetzt muss man sagen, dass die Gründe sehr unterschiedlich sein können, da passt Egoismus oder Ignoranz genauso rein, wie die einfache Unfähigkeit, ein kooperatives Spiel zu spielen. Ich glaube, es steckt sogar ein großes Stück Rebellion gegenüber dem "klassischen Abenteuer" Topos dahinter. Das man sich also nicht einengen lassen will und dann geht man als Demonstration eben ingame Bienenzüchten anstatt mit den anderen auf Abenteuer. Das dabei Spielspaß, Kollegialität und gar die Funktionaltät der Spielrunde meist komplett auf der Strecke bleibt sind Opfer, die bereitwillig in Kauf genommen werden. Und ich glaube, daher kommen auch viele alte Spieltips zum besseren Rollenspielen und "nicht abenteuern".

Natürlich gibts auch viele andere Erklärungen, die Abneigung vom klassischen Abenteuer, der Wahn ein persönliches Spielerlebnis zu fordern etc.pp.

Second bin ich im Gegensatz zu vielen Advocaten nicht der Ansicht, dass man in einer RPG Kampagne ALLES machen kann. Jedenfalls nicht alles gleichzeitig. Ganz zu schweigen von Tabu-Themen. Deswegen gebe ich meist eine Erläuterung, worum sich die Kampagne dreht und was so typische Ereignisse und Handlugen sind. Diese Einschränkungen sind dann der Preis, dass man überhaupt auf einer Linie spielen kann.

 

Zumindest das Tanelorn ist fast völlig davon überzeugt, das man in einer Sandbox gefälligst ALLES dürfe, auch und gerade Bienenzüchten, wenn es einem gerade so überkommt. Daher wundert mich diese haltung nicht.

Zitat von ErikErikson am 14. November 2020, 14:07 Uhr

Der Abenteurer ist halt dann das Äquivalent von reichen Leuten, die ne Weltumsegelung alleine mit ihrem Segelboot machen, weils sie halt sehen wollen, ob sie es schaffen. In so eine Denke kann sich der Normalbürger aber nur schwer hineinversetzten, deshalb kommt es zu einer Dissonanz.

Absolut korrekt. Historisch würde ich eher sagen, Äquivalent von Merchant Adventurers o.ä., aber gleiches Prinzip.

Ein echter Abenteurer ist jemand, für den nicht gilt "Ich erreiche XY und dann reicht es mir". Höher und höher hinaus! Sobald es mir reicht... bin ich kein Abenteurer mehr. (= ist die Kampagne zuende.)

 

Zitat von Hasran am 14. November 2020, 15:10 Uhr

Das ist aber nur ein Problem bei "neuem" (post 1e) D&D. Einerseits weil gilt Gold=XP, andererseits weil das "Domänenspiel" von vorneherein mitgedacht wird.

Ganz wichtiger Punkt, glaube ich: Der Horizont des erreichbaren ist bei New-School denkbar niedrig konzeptioniert.

Zitat von ErikErikson am 14. November 2020, 20:51 Uhr

Zumindest das Tanelorn ist fast völlig davon überzeugt, das man in einer Sandbox gefälligst ALLES dürfe, auch und gerade Bienenzüchten, wenn es einem gerade so überkommt. Daher wundert mich diese haltung nicht.

Ja, genau. Das ist ja schließlich eine ganz alte Kritik an "echten" RPG Abenteuern: Man haue ja nur Monster um und klaue ihnen ihr Gold. Demgegenüber ist es halt vielfältigeres Rollenspiel, wenn man dann auch den Bader in der Stadttherme ausleben kann, während die anderen Mitspieler (oder Gegenspieler?) mit dem Wachkoma kämpfen.

Vielleicht ist der Wunsch nach klassischen Abenteuern in Deutschland (?) auch einfach nicht so verbreitet. Ich habe da noch Anekdoten im Kopf, da berichteten Spieler stolz, dass sie einen Abend lang nur einen einzigen in-Game Geburtstag ausgespielt hätten. Ich meine, schlussendlich: Jeder wie er mag, so lange die Spieler eine konkrete Vorstellung haben, was sie tun. Aber das haben sie scheinbar eben oft nicht.

Ein krasser Widerspruch ist dann natürlich die Erwartung, eine maßgeschneiderte persönliche "Story" vom SL zu bekommen, in der eben dann doch nichts anderes, freies passiert. Aber das ist ein Widerspruch, mit dem müssen die Leute selbst klarkommen, die sich das schönreden.

inwiefern das New-School ist, ist schwierig zu sagen. Da müsste ma den Begriff erstmal richtig definieren.

kurzum, alle Reden immer über SL Skills aber Spieler sein ist nicht viel weniger schwierig.

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