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Was ist die optimale Ausarbeitungstiefe eines Settings?

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Hinsichtlich Symbaroum wurde in dem anderen Strang kritisiert, dass das Setting sehr viele Hintergründe (noch) offen lässt. Ich bin unentschlossen, ob ich dies als ein zwingendes Negativkriterium ansehen mag.

Auf dem Rollenspielmarkt gibt es eine sehr weite Spannbreite hinsichtlich der Ausarbeitungstiefe der jeweils zu bespielenden Welt:

Sehr weit oben auf der Skala würde ich DSA ansiedeln, wo die Welt gefühlt bis in den hintersten Winkel entwickelt und samt geschichtlicher Entwicklung festgeschrieben ist.

Ganz am anderen Ende der Skala stehen Rollenspiele wie Beyond the Wall, bei dem man die Welt im Grunde gemeinsam mit den Spielern Stück für Stück entwickelt oder wohl auch Forbidden Lands, basierend auf einem im Ergebnis ähnlichen Mechanismus soweit ich das bisher beurteilen kann.

Dazwischen liegen Universal-Kampagnen, wie die Abenteuer des Drachenland-Verlages, die zwar auf einer eigenen Welt (Morh-Khaddur) basierte, aber sich in jede beliebige andere Welt einbauen ließen (ähnliches gilt für die frühe Abenteuerreihen von Feder & Schwert: Illiamas und Weygoras Legenden).

In der Mitte der Skala würde ich auch Welten wie die des MIDGARD Rollenspiels oder Earthdawn einordnen, die noch viel Freiraum lassen. Das Gleiche gilt für literarisch motivierte Fantasy-Settings, bei denen die Rollenspiele regelmäßig keine weitergehende Ausarbeitungstiefe bieten als die Buchvorlagen, die sich hinsichtlich der Weltenbeschreibung regelmäßig auf das für die Erzählung einer konkreten Geschichte erforderliche Maß beschränken (z.B. Sturmbringer).

Für mich war die Ausarbeitungstiefe der DSA-Welt immer abschreckend, da viel zu viel Lesearbeit, viel zu viel Kaufnotwendigkeiten, viel zu viel Korsett, viel zu hohes Risiko, sich mit eigenen Abenteuern in Widerspruch zur (ggf. erst nachfolgend veröffentlichten) offiziellen Linie zu setzen.

Weil für mich als SL der größte Anreiz eigentlich in der Entwicklung der Abenteuer, der NSCs und vieler kleiner Details liegt, sind für mich Kaufangebote im Rollenspielsektor im Ergebnis nur praxistauglich, wenn sie mir genug Spielraum gewähren, um mich noch selbst auszutoben. Am liebsten sind mir Abenteuer, die ich beliebig umbauen und modifizieren kann, ohne auf irgendwelche Vorgaben Rücksicht nehmen zu müssen, Module, die ich mit wenig Aufwand z.B. auch in eine eigene Welt einfügen kann, um dort weiße Flecken zu füllen.

Demgegenüber setzt mich ein System wie Shadows of Esteren - das ich hinsichtlich seiner Aufmachung/Artworks/Boxen einfach wundervoll finde - als SL vor ein Problem, weil hier irgendwann Hintergründe kommen werden, die eine hohe Ausarbeitungstiefe erwarten lassen, mir aber im Moment zu wenig verraten, um mich selbst zu entfalten. (Ein ähnliches Problem könnte bei Symbaroum bestehen; ich kenne es noch nicht.) Ich fühle mich wie beim Lesen der Königsmörder-Chroniken: Ich sehe und erahne, der ganzen Erzählung liegen auf einer tieferen Ebene Ereignisse und Mächte zugrunde, die vermutlich irgendwann im Sinne einer Auflösung alles erklären werden, was ein optimales Lesevergnügen bedeutet und auch aus Spielersicht toll wäre. Aber wenn ich (als SL) eine Geschichte auf der Basis eines Hintergrundes erzählen muss, den ich nicht kenne, bin ich eher ratlos und überfordert. Dann verzettele ich mich bei der Vorbereitung in Fragen, auf die ich keine Antwort erhalte, ohne das Gefühl zu haben, die Lücken selbst füllen zu dürfen; ich sehe mich selbst vor allem in der Leser-/Konsumentenfunktion, der die Rätsel des Settings zu ergründen versucht und die Übernahme der Rolle des "Gestalters" fällt mir schwer.

Wie seht ihr das: Sollte ein Setting lieber keine zu große Ausarbeitungstiefe haben, um dem Spielleiter viele Freiheiten zu lassen? Oder ist das kein Vorteil, sondern eine Zumutung, weil der SL dann die "Arbeit" zu einem großen Teil noch selber machen muss?

All dead! All dead!

Ich freue mich, wenn ein Setting ausgearbeitet ist und mit Stats, Tabellen etc. bestückt ist. Muss ich ganze Hintergrundbaende lesen, überfordert mich das inzwischen. So gerade Exalted, dabei sind dort die Hintergründe schon sehr reichhaltig.

* Orangener Gurt im PJJ * Grüner Gürtel im Drama-Fu (Drachen-Stil) * Brauner Gürtel im Pyro-Fu * Night's Master im Ghoulu Jitsu * Gelber Gürtel im Tanelorn *

Die Ausarbeitung muss spielorientiert sein. Ein Positivbeispiel wäre für mich Old Ones (1st Edition) für Palladium Fantasy. Ein anderes Positivbeispiel sind die Wilderlands von Judges Guild - ich mag Rob Conleys neue Version sehr gerne.

Da wird bottom-up gearbeitet. In Old Ones sind alle Städte ausgestaltet (teilweise zugegebenermaßen mit wenig spielrelevanten Details, wie der genaue Ort und die Anzahl von Handwerkern etc.), einige Dungeons und Intrigen, die sich aus der Lektüre der knappen Stadtbeschreibungen ergeben. Die Wilderlands sind ein Hexcrawl, mit minimalen Infos.

Alternativ finde ich den Top-Down-Approach sehr gut, wie er in Greyhawk gehandhabt wird, das einem viel Arbeit abnimmt und Kreativität weckt. Wichtig ist hier, dass tatsächlich knapp gearbeitet wird und nicht unsinniges Geschwafel in den Weg kommt. Die Vor- und Frühgeschichte in Greyhawk ist mit zwei Karten plus Erklärung abgehandelt.

Das Maß der Ausgestaltung finde ich nicht so wichtig - und auch keinen der Approaches (top-down, bottom-up) inhärent besser. Man merkt aber, ob das Ganze mit einem Auge auf den Spieltisch entworfen wurde, idealerweise sogar auf Spielerfahrung fußt.

Zitat von tassander am 30. Januar 2020, 14:12 Uhr

Man merkt aber, ob das Ganze mit einem Auge auf den Spieltisch entworfen wurde, idealerweise sogar auf Spielerfahrung fußt.

Geht mir ähnlich. Das "wie" ist mir wichtiger als die Menge. Ich erhoffe mir zunehmend, dass alle wichtigen und interessanten Informationen schnell und einfach erfasst werden können, bestenfalls sogar live am Tisch. Darüberhinaus sollten es auch überwiegen Informationen sein, die ich "bespielen" kann.

"If people seem slightly stupid, they’re probably just stupid. But if they seem colossally and inexplicably stupid, you probably differ in some kind of basic assumption so fundamental that you didn’t realize you were assuming it, and should poke at the issue until you figure it out." - Scott Alexander, published under CC-BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Was ich inzwischen echt hasse, sind Rollenspiele, die nur ein paar evokative Andeutungen machen aber das dann nicht mit Substanz unterfüttern. Ob viel oder wenig vom Setting beschrieben ist, ist dabei weniger entscheidend als, ob die Fragen, die dann im Spiel bzw. in der Vorbereitung wirklich aufkommen, auch beantwortet werden. Ich verweise hier wieder auf Coriolis, das irgendwie schon ein ganz cooles Setting hat und auch gar nicht sooo wenig Umfang, aber wenn du dann genauer hinschaust, hast du zwar zu fast jedem Planeten und jeder Fraktion ein bisschen was gesagt, aber ganz wesentliche Informationen fehlen ganz (wie z.B. Standardtarife für Transport- oder Kurieraufträge, obwohl genau das laut Regelwerk die Art von Aufträgen sind, die SCs typischerweise übernehmen) oder sind unbefriedigend stark vereinfacht (wie z.B. die Reisezeiten zwischen den Planeten im System).

Ebenso ist zu unterscheiden zwischen Ausarbeitungstiefe und Auswalzungsbreite, Geschwafel toleriere ich nur noch schlecht, ist halt inzwischen ein paar Tage her, dass ich 15 war und Vampire abgefeiert habe. Die Informationen sollten gut organisiert und präsentiert sein, in der Kürze liegt die Würze. Wichtig ist auch, vorab einen Überblick zu geben, der es dem geneigten Leser erlaubt, je nach Bedarf zu entscheiden, wo man tiefer einsteigen möchte und wo nicht.

Insofern kommt es nicht so sehr auf Dichte und Umfang des Materials an, sondern auf Qualität. Zu skizzenhaft sollte es für meinen Geschmack nicht sein, dann kann ich auch gleich selbst stricken. Dann lieber Aventurien. Aber natürlich sollte es auch weiße Flecken geben, d'uh.

Ich komme am besten mit einer Mischung klar, wie bei Traveller oder Warhammer. Es gibt ein paar Größen, die gegeben sind, wie das Imperium und die Daten von Systemen/Orten und es gibt einen reichhaltigen Hintergrund, aber es gibt auch jede Menge leere Stellen und die Freiheit, darauf aufbauend offen in die Zukunft zu arbeiten.

Warhammer ist ja eh so ein Ding, nehme  ich das Setting der 1e, der 2e oder bin ich gar schon bei AoS. Völlig unsinnig, sich da nicht seine eigene Alte Welt auszudenken.

Als SL für Settings mit viel Hintergrund (Shadowrun, Mechkrieger, DSA, ...) würde ich Kenner der Materie vermutlich hart enttäuschen. 🙂

Für ein Setting wünsche ich mir zuallererst Material, das gut sortiert und leicht erfassbar ist.

Geschichte, Geographie, Personen, Organisationen, Wesen und mögliche Entwicklungsbögen müssen angesprochen werden.

Ein Setting muss genügend definieren, dass ich leicht immer einen Schritt vor den Spielern bin, und nicht so viel, dass mir die Luft zum Atmen fehlt und ich es mit noch zu rigei machen kann.

Klare Trennung von Regelteil und Setting.

Genaue Maße, Anzahl, Zeiträume, Preise, Stufen/Spielwerte etc.

Ein Setting-Band als Arbeitsbuch und Gebrauchsanweisung, nicht als Kunstwerk oder Roman.

Zitat von Der Oger am 30. Januar 2020, 16:46 Uhr

Klare Trennung von Regelteil und Setting.

Dies dürfte wohl am Ehesten eine Kontroverse sein. Ich sehe ein Ineinandergreifen von Setting und Regeln als Merkmal eines guten Rollenspiels an. Eine GURPSifizierung ist das letzte, was ich brauche. Oder meintest du es nur auf Aufbau/Didaktik bezogen?

"d'uh"? Ich bin zu alt für diesen Sch... Hab's mir von Google erklären lassen.  😉

Danke für die bisherigen Stellungnahmen. In manchem finde ich mich wieder, manches erscheint mir eine kaum zu leistende Gradwanderung.

Danke auch für Tipps: "Wilderlands of High Fantasy" z.B. kenne ich noch nicht. Die ersten Seiten, die man sich in der Vorschau auf DriveThruRPG ansehen kann beschränken sich fast vollständig auf Tabellen. Wenn da nicht noch mehr zu den Hintergründen folgt, wäre mir das wohl zu dünn. Aber vielleicht sollte ich mir das (samt der weiteren Hefte) mal genauer anschauen.

Die Maßstäbe an Auffindbarkeit, Strukturierung, Sortierung etc. sind eine Sache, deren Erfüllung mit steigender Ausarbeitungstiefe sicher eine immer größere Herausforderung darstellt, aber grundsätzlich unabhängig von der Ausarbeitungstiefe gut oder schlecht sein kann.

Ich habe die Ausgangsfrage gestellt, weil ich schon häufiger über Kritiken/Rezensionen etc. gestolpert bin, bei denen ich mich frage, ob der Anspruch überhaupt erfüllt werden kann oder ob man die eierlegende Wollmilchsau sucht. (Nehmen wir z.B. den hiesigen Thread zur Beschreibung von Monstern in einem Satz. Gut finde ich die Anregung, mal nachzudenken, wieviel Beschreibung man tatsächlich braucht. Andererseits erscheint es mir fraglich, ob ein Dogma solcher Selbstbeschränkung tatsächlich hilfreich ist, denn Bandwurmsätze, in denen der Leser jedes einzelene Wort sorgsam interpretieren muss, erscheinen mir - ausgehend von meiner eigenen Spielpraxis - am Ende doch nicht so hilfreich, wie ein paar Sätze mehr, die mir aber sofort ein Bild vermitteln. Müssen wir nicht auch die Bereitschaft und Zeit mitbringen, auch mal bei der Vorbereitung ein wenig Prosa zu lesen, um Stimmung und Atmosphäre vom Autor auf den Leser übertragen zu lassen?)

Ich entnehme den vorstehenden Beiträgen, dass weiße Flecken und eigene Gestaltungsspielräume aufgrund einer weniger detailierten Ausarbeitung eines Settings eher nicht als Nachteil gewertet werden. So sehe ich das auch. Bausteine eines Rollenspiels / Settings mit vergleichsweise niedrigem Aufwand in meine Welt einbauen zu können sehe ich sogar als besonders wünschenswert an (z.B. Material wie "Tales of the Old Margreve").

Wie bringe ich Eure vorstehende Bewertungen dann aber mit der im anderen Strang geäußerten Kritik an Symbaroum in Einklang? Beispielsweise:

  • "Interessante Aspekte der Welt sind nur angedeutet, nicht ausformuliert (sprich viel DIY)"
  • "Würde es nicht direkt als Setting bezeichnen. Symbaroum wäre für mich maximal eine Abenteuerlocation in meiner eigenen Kampagnenwelt. Habe schon Ideen daraus gezogen, ..."
  • "...das Setting hat mich tatsächlich total enttäuscht. Die Grundidee fand ich echt cool, mit dem untergegangenen Imperium, der Wald als Aufhänger, alles auf "dyster" und "nordisch" getrimmt... und dann machen sie da einfach nichts draus. Schade."
  • "Ein Setting das gute Ideen hat, aber nichts aber wirklich gar nichts daraus macht."

Was wurde bei Symbaroum hinsichtlich des Settings also konkret falsch gemacht? Eigentlich hört sich die Kritik doch so an, als hätte man einen Kompromiss aus die Phantasie anregender Grundidee mit vielen Plätzen für eigene Kreativität gefunden?

Wie gesagt, ich möchte und kann Symaroum garnicht verteidigen oder umgekehrt negativ Bewerten. Mir geht es darum, wie man objektiv ein Setting hinsichtlich der Ausarbeitungstiefe für den praktischen Gebrauch Eurer Ansicht nach optimal gestaltet und was man falsch machen kann.

All dead! All dead!

Würde mich fast allem Gesagten anschließen, aber für mich ist das ein wichtiges Thema, weil ich Setting lange Zeit viel zu sehr vernachlässigt habe und zu sehr die Spielregeln berücksichtigt habe, ich glaube, das ist eine verbreitete Rollenspielerkrankheit. Die letzte nJahre versuchte ich das aufzuholen.

Die Menge ist wirklich nicht das Entscheidende, sondern eben die Qualität. Was angegeben wird, stimmt im Optimalfall mit der gewünschten Spielweise überein, die sich der Designer vorstellt (z.b. sind in Traveller Handelswarenströme wichtig, im Marvel Setting eher nicht so). Gewisse Grundinfos müssen natürlich vorhanden sein. Hat er die aber nicht ("world-building"), tja, dann kann er sich auf eine Menge Arbeit einstellen, denn dann muss er so gut wie alles mindestens ansprechen (world builder wollen das aber auch).

Vor Jahren habe ich für mich festgestellt, dass die meisten verfügbaren RPG-Settings die mich interessieren, einfach grottig, grottig, grottig umgesetzt sind. Das sind oft wirklich mehr Kunstprojekte und/oder lose Schwadroniererei, wahlweise als Textwüste oder viel zu kurz. Oft zählt nur die Menge, klar, wenn man nach TEXTVOLUMEN bezahlt wird, aber die hingeschluderten Kurzsettings gibts ja auch (bei diesen geht's, glaube ich, oft nur darum zu zeigen, dass man was "fertig gebracht" hat). Viel zu wenig werden die RPG-Settings als Anleitung geschrieben.

Im Optimalfall enthält z.b. jeder Satz einer Ortsbeschreibung eine wichtige Information. Positive Beispiel aus eigener Spielerfahrung sind für mich Iron Kingdoms und Kreijor (Arcane Codex).

Daran versuche ich mich auch beim Settingschreiben zu halten. Die AUSWAHL der Informationen ist dann wirklich der eigentliche Knackpukt, aber oft kann man auch Text substituieren. Anstatt einer Geographiebeschreibung genügt auch oft eine Landkarte mit Beschreibung. Anstatt eines Geschichtskapitels eine Zeitleiste, je nachdem.

Ich persönliche mag den Top-Down Ansatz lieber, er führt IMHO zu stimmigeren Welten, aber auch zu mehr Aufwand, weil man auch Dinge beschreiben muss, die gleichzeitig manchmal gar nicht in Kampagnen auftreten können (z.b. eine Kampagne spielt in Land X, das Setting hat aber Land X und Y, ich muss also beide beschreiben).

Auch bevorzuge ich eher technische Beschreibungen, ich muss schnell zu den wichtigen Informationen kommen. Schlechte Romane kann ich auch vorm Zubettgehen noch lesen (bzw. gar nicht).

 

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