Disputorium

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Charaktererstellung als Deck Builder ab wann?

Es geistert hier und da der brauchbare Vergleich herum, dass entweder die Charakterkonstruktionsregeln bestimmter Systeme oder die Herangehensweise mancher Spieler an die Charaktergenerierung dem Deckbuilding bei CCGs ähneln. Ich versuche, die Gemeinsamkeiten auszuformulieren:

  • Es gibt eine Vielzahl an Individualisierungsoptionen
  • Diese haben unterschiedlich effektive Auswirkungen auf bestimmte Elemente des Rollenspiels (v.a. Kampf aber auch andere Subsysteme)
  • Durch das Aufdecken bestimmter Synergien zwischen diesen Optionen bei Charaktererstellung (oder dann in Hinblick auf Steigerung – hier greift der Vergleich zum CCG weniger gut) können diese Auswirkungen noch effektiver gestaltet werden
  • Es besteht dabei eine merkwürdige Diskrepanz zwischen diesem „Vorspiel“ und dem „Hauptspiel“, da ein besonders kostennutzeneffektives Betreiben des „Vorspiels“ manche Handlungsstrategien im Hauptspiel als „Winnig Strategy“ vorbestimmt und das Vorspiel - von einer gewinnorientierten Perspektive aus betrachtet- größere Bedeutung erlangt als das „Hauptspiel“
  • Diese Synergieaufdeckung und Kombination entwickelt einen „selbstbefriedigenden“ Effekt (vgl. Onanie), der in der Kreativität oder Regelkenntnis des Nutzers liegt und über basale „Vorteile“ wie hohe Werte oder Wahl einer OP Charakterklasse hinausgeht

Anders als bei CCGs kommt im Rollenspiel dazu, dass dadurch die Systemoptimierungselemente des Hauptspiels überbetont werden und andere Elemente von diesen überlagert werden bis verschwinden (dis gilt auch unabhängig von Kriterien wie „Stimmung“ oder „Charakterdarstellung“, denn auch kreative Problemlösungsverfahren als Elemente des Spiels weichen so obigen Systemoptimierungsverfahren).

Habe ich eingangs behauptet, dass (auch) die Verfahrensweise mancher Spieler bei der Charaktererstellung der des Deckbuilding ähnelt, so scheint es mir im Kern aber das im Spielsystem angelegte Reglement zu sein, das dieses Verhalten provoziert, bzw. überhaupt erst ermöglicht, denn:

  • Sowohl bei der Charaktererschaffung wie auch bei der späteren Steigerung müssen oben skizzierte Optimierungsoptionen gegeben sein
  • Als auch im Hauptspiel müssen Reglements greifen, die eine effektive Spielweise für besonders „synergetisch kreierte“ Spielfiguren zulässt.

Nun die Frage: woher kommt das? Meine Vermutung ist, dass der wesentliche Aspekt (Synergieeffekte und Kombinationen sind in einer Vielzahl von Individualisierungsoptionen bereits angelegt und vom Spieler zu entdecken/zu erfinden) ursprünglich in D&D 3.0 aufgetreten ist (in 3.5 mit allen Splatbooks dann einen Höhepunkt erreicht hat, von PF dann weitergeführt wurde und auch in 5e zwar abgemildert aber im Wesentlichen noch vorhanden ist).

Vorher bestehende Systeme scheinen zwar durch Attributsminmaxing, Kits oder Vorteil-/Nachteilsysteme zwar "OP"-Spielerfiguren produzieren zu können, aber es fehlte der Aspekt der raffinierten Feinabstimmung wie beim Deckbuilding. Auch scheinen so produzierte Stärken eher "bugs" als "features" zu sein. Andere (v.a. Trad-)Systeme (der 90er und 2000er) hingegen haben eine Vielzahl von Individualisierungsoptionen, diese haben aber für Gewinnmaximierung wenig oder keinen Nutzen.

Ich bitte um Hinwiese, ob solche Tendenzen (maßgeblich) anderweitig aufzufinden sind oder Kritik an der Begriffsbestimmung. Sollte die "Deckbuildinggenerierung" tatsächlich erstmals mit 3.0 Einzug gehalten haben, so halte ich es für naheliegend, dass dies mit vollem Bewusstsein so im System angelegt wurde, zumal 3e bei dem CCG-Verleger schlechthin erschienen ist.

Ich gehe auch davon aus, dass die Deckbuild-Strategie (aka System Mastery) bewusst gewählt wurde, ob nun als allgemeines Mindset und als Innovation, oder als vorsätzliche Kommodifikation. Ich erinnere mich an Kommentare wie "Bäh, dadurch werden Charaktere jetzt zu TCG-Decks, das ist kein richtiges Rollenspiel mehr" - was nachbetrachtet zumindest ein Körnchen Wahrheit enthielt.

Das erste Mal, wo mir eine solche Deckbuilding-Strategie ansatzweise aufgefallen ist, rückwirkend, war in Fallout 1+2, also auf dem Computer und vor der Veröffentlichung von D&D 3. (Man müsste gucken, ob es da zwischen den Design Teams personelle Schnittmengen gab, was nicht unwahrscheinlich ist, Black Isle Studios war für sowohl Fallout als auch Planescape: Torment und Icewind Dale mitverantwortlich).

Vielleicht noch mit der Neuauflage der Hero's Option-Bücher (Skills & Powers, Spells & Magic), wobei ich mir im Moment nicht sicher bin, ob die vor oder nach dem Verkauf der IP an die Wizards rausgehauen wurden.

Zitat von Der Oger am 20. September 2023, 18:42 Uhr

Vielleicht noch mit der Neuauflage der Hero's Option-Bücher (Skills & Powers, Spells & Magic), wobei ich mir im Moment nicht sicher bin, ob die vor oder nach dem Verkauf der IP an die Wizards rausgehauen wurden.

Wenn du mit der Neuauflage die Bücher im schwarzen Einband (so wie die 2e revised Bände) meinst, ist zumindest das S&P von 95, vor dem Verkauf und ganze 5 Jahre früher als 3e. Das ist ein heißer Kandidat, ich weiß aber nicht, ob das CP System (meinst du?) mehr in die Richtung Individualisierung - Kitfixing/Balancing - (vermeintliches) Player Empowerment (bzw. dadurch das Gegenteil). Vom Bauchgefühl her würde ich sagen ist noch n stipp mehr klassischer 90er Vorteil-/Nachteilsystem als steile Kombos bauen. Ich werd mir aber zunehmend unsicher, ob die Unterscheidung haltbar ist.

Einwurf:

Shadowfist/Feng Shui

Current thinking of this agency: 10 Ignores
Zitat von blut_und_glas am 21. September 2023, 2:52 Uhr

Einwurf:

Shadowfist/Feng Shui

Ich weiß nicht ob die Bitte um vertiefende Ausführung Gehör findet, denn dann wäre das ja gleich geschehen. Ich würde mich jedenfalls freuen. Die Recherche über das mir unbekannte System weist auf ein in etwa zeitgleich gelaunchtes CCG hin - ähnlich wie bei Lot5R, beides auch Mid90s- jedoch scheinen CCG und RPG Mechanismen auf den ersten Blick getrennt; bei der Charaktererschaffung und im Spiel ist wiederum von sog. Schticks die Rede, die in Richtung ealborierte Featbastelei gehen könnten (aber da lässt einen dann die Untiefe des Internets im Stich). Insofern: Lässt sich hier eine klarere Parallele finden?

So elaboriert ist die Feat-Bastelei bei Feng Shui nicht.

So elaboriert nicht, wird aber (beziehungsweise wurde damals und zumindest in Teilen Atlantis) als eine der direkten Vorlagen der Feats gehandelt.

 

Während Feng Shui selber im Bezug auf das Thema hier dadurch besticht, eben direkt aus einem Kartenspiel hervorgegangen zu sein (und dabei - ob nun elaboriert oder nicht - mit dem Zusammenstecken und den Bäumen/Ketten Deckbauelemente in der Personnagenerschaffung erkennen zu lassen).

Current thinking of this agency: 10 Ignores

Elaboriert ist zugegeben ein schlechtes (zumal quantatitves) Kriterium um einen qualitativen Unterschied auszumachen. Insofern: ob nun 2e Player's Options oder Feng Shui oder Fallout - die Spur führt an 3e vorbei in die tiefen 90er.